Im Folgenden stellen wir das Standardmodell der Kosmologie vor, das auch als Referenzmodell bezeichnet wird. Zunächst gehen wir kurz auf den Modellbergriff, wie er beispielsweise innerhalb der Physik verwendet wird, ein.
Modelle sind in den Naturwissenschaften, vorrangig in Physik und Chemie und heute auch in der Kosmologie, das geeignete Mittel, die komplexe reale Wirklichkeit zu vereinfachen und auf ein „Bild“ von ihr zu reduzieren. Diese Vorgehensweise ist der Tatsache geschuldet, dass uns unsere Gehirne tatsächlich nur Abbilder unserer Umwelt liefern. Allerdings Bilder, die es uns ermöglicht haben, enorme Fortschritte zu generieren. Auf den Mond zu fliegen, Computer und Navigationsgeräte zu bauen und zu erkennen, dass wir in einem Universum leben, das 13,7 Milliarden Jahre alt ist. Ein sehr beeindruckendes Beispiel für ein solches Modell ist das herkömmliche Modell des Atoms mit dem Atomkern, bestehend aus positiv geladenen Protonen und Neutronen und Elektronen, die in unterschiedlichen Entfernungen vom Zentrum um die Kerne kreisen, vergleichbar mit den Planetenbahnen um die Sonne. Niemand hat jemals ein Atom gesehen und doch wurden, abgeleitet aus diesem Modell, der Menschheit ungeheure Fortschritte beschert. Ob diese in jedem Falle zu ihrem Segen gereichten, ist eine andere Frage und soll uns an dieser Stelle eher nicht beschäftigen. Es gibt unter den Modellen anschauliche, so wie das gerade beschriebene, aber auch sehr theoretische, das heißt dann, mathematische Modelle. In der Regel spricht man dann von einer physikalischen oder auch kosmologischen Theorie. Unabhängig davon bleiben es Bilder der Wirklichkeit. Sie haben aber den unschätzbaren Vorteil, dass man mit ihnen rechnen kann, Fragen stellen und beantworten kann. Und solange sie Fragen so beantworten, dass sie mit der Beobachtung übereinstimmen, werden sie als „richtig“ anerkannt. Richtig in dem Sinne, dass sie nicht zu falschen Vorhersagen führen. Führen sie aber zu Vorhersagen, die mit der Beobachtung nicht übereinstimmen, gelten sie als falsifiziert, als falsch also. Eine physikalische Theorie lässt sich niemals beweisen. Sie kann nur falsifiziert werden. Experimente und Beobachtungen, die mit den Vorhersagen der Theorie übereinstimmen, machen ihre „Richtigkeit“ nur wahrscheinlicher, aber keinesfalls „richtiger".
Das gegenwärtige Bild des Universums wird als Standardmodell oder auch Referenzmodell der Kosmologie bezeichnet. Es ist im Grunde ein mathematisches Modell unseres Universums, das auf einer äußerst abstrakten physikalischen Theorie beruht, auf einer nicht geringeren als der Allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins. Es lässt aber auch, jedenfalls partiell, anschauliche Vorstellungen von unserem Universum zu. Dieses Modell ist in der Lage, uns Fragen zu beantworten, die sich der Mensch stellt, seit er denken und derartige Fragen stellen kann: Gibt es einen Anfang? Wenn ja, wie viele Jahre liegt dieser vor unserer Zeit? Wie alt ist also unsere Welt? Und wie groß ist sie? Und was passiert mit unserer Welt in der Zukunft? Ob die Antworten des Modells auf diese Fragen richtig sind, lässt sich nicht beweisen. Solange sie den Beobachtungen nicht widersprechen, können wir sie als richtig ansehen. Das ist die Arbeitsweise der Naturwissenschaft. Eine bessere Vorgehensweise gibt es nicht. Gegen Enttäuschungen ist sie allerdings nicht gefeit. Das zeigt die Geschichte. Die Naturwissenschaft verkündet keine Dogmen. Und es ist nicht auszuschließen, dass unsere Nachfahren sich über unsere Vorstellung von der Welt lustig machen werden. So, wie wir uns über die Vorstellung lustig machen – obgleich wir es nicht tun sollten –, dass die Welt ein Schildkrötenturm ist, auf dessen oberster Schildkröte unsere Erde als flache Scheibe ruht. Einige Aspekte dieses gegenwärtig als Standardmodells der Kosmologie geltende Modell werden wir nun vorstellen.
Das Referenzmodell ist im Rahmen der Urknalltheorie ein mathematisches Modell der Expansion. Dessen Eckpfeiler wollen wir im Folgenden vorstellen. Ganz ohne die Verwendung der Mathematik bzw. mathematischer Begriffe geht das leider nicht.
Das Refernzmodell ist ein sogenanntes Friedmann-Modell. Es genügt damit der Friedmann-Gleichung. Die Friedmann-Gleichung ist eine Lösung der einsteinschen Feldgleichungen unter der Annahme der Gültigkeit des kosmologischen Prinzips.
Das kosmologische Prinzip
Das kosmologische Prinzip besagt, dass es im Universum großräumig - in der Größenordnung von mehreren Hundert Millionen Lichjahren - keinen bevorzugten Ort und keine bevorzugte Richtung gibt.
Das bedeutet, an jedem Ort des Universums, an den wir uns gedanklich versetzen, sieht das Universum, in welche Richtung wir auch blicken, gleich aus. Wenn man so will, ist das kosmologische Prinzip eine Erweiterung des kopernikanischen Prinzips, dass nicht die Erde, sondern, wie Kopernikus noch vermutete, die Sonne der Mittelpunkt der Welt ist. Aus dem kosmologischen Prinzip folgt, dass es im Universum gar keinen Mittelpunkt gibt.
Das Universum ist räumlich flach
Das bedeutet, dass in ihm die euklidische Geometrie gilt. Es gilt der Satz des Phythagoras und Parallelen schneiden sich nie. So könnte man diese Eigenschaft beschreiben. Das Universum ist als Ganzes jedenfalls nicht gekrümmt, weder nach innen, quasi wie die Oberfläche einer Kugel, auch nicht nach außen, wie die Flächse eines Sattels. Möglicherwiese am einfachsten ist noch die Vorstellung von einem Würfel, der in der kosmischen Zeit in allen drei Diemsionen auseinandergezogen wird. Es gibt quasi für jeden Augenblick einen neuen Würfel. Wir sind in diesem Würfel gefangen und "sitzen" an einer in keiner Weise bevorzugten Stelle in seinem Innernen. Dieses Bild des Universums suggeriert allerdings, dass es im Widerspruch zum kosmologischen Prinzip doch einen Mittelpunkt gibt. Das ist die Schwäche dieses Bildes.
Die Skalenfunktion
Dass das Universum expandiert, das wissen wir schon. Genauer müssten wir sagen, dass das von dem Referenzmodell modellierte Universum expandiert. Das Universum wird also mit der Zeit größer und seine Temperatur und Dichte nehmen ab. Im Rahmen des Modells wird die Expansion durch die sogenannte Skalenfunktion beschrieben. Die Skalenfunktion gibt den Abstand an zwischen unserer Position, das heißt, der Position der Milchstraße und einem beliebigen kosmischen Objekt (Galaxie) zu einer beliebigen kosmischen Zeit in Relation zum gegenwärtigen Abstand. Wenn wir die Skalenfunktion mit a, die kosmische Zeit mit t, die gegenwärtige Epoche mit t0 und die Abstände eines Objekt zur Zeit t mit r(t) und zur Zeit t0 mit r(t0) bezeichnen, gilt
a(t)=r(t)/r(t0).
Wenn also r(t0) der gegenwärtige Abstand einer Galaxie von uns ist, dann ist ihr Abstand in der kosmischen Epoche t
r(t)=a(t)*r(t0).
a selbst ist eine relativ komplexe mathematische Funktion der kosmischen Zeit, in die der Zustand des Universums eingeht. Unter dem Zustand des Universums einer bestimmten Epoche t verstehen wir seine Zusammensetzung aus Strahlung, Materie und Dunkler Energie. Konkret gehen in die Skalenfunktion die Energiedichte der Strahlung, die Materiedichte und die Energiedichte der Dunklen Energie der gegenwärtigen Epoche in Relation zur Gesamtdichte ein.
Die Friedmann-Gleichung
Die Friedmann-Gleichung ist die zentrale Gleichung des Modells. Sie wurde in den 1920er Jahren aus den Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie unter der Annahme eines Universums abgeleitet, das dem kosmologischen Prinzip folgt. Friedmanns Lösung benötigte keine komsologische Konstante und hatte noch drei mögliche Ausgänge: ein räumlich geschlossenenes, ein räumlich flaches oder räumlich offenes Universum. Die Beobachtungen und Sattelittenexperimente lassen allerdings keinen Zweifel. Das Universum ist räumlich flach. Vereinfacht ausgedrück, gilt in unserem Universum das Gesetz des Phythagoras und parallele Linien schneiden sich nicht. Die Friedmann-Gleichung stellt die Expansionsrate in Abhängigkeit vom Skalenparameter und der Zusammensetzung des Universums, also in Abhängigkeit von seiner Strahlungs-und Materiedichte und der Dichte der Dunklen Energie in der gegenwärtigen kosmischen Epoche dar. Unter der Expansionsrate versteht man dabei die Expansionsgeschwindigkeit in Relation zur Ausdehnung des Universums. Aus der Friedmann-Gleichung lässt sich sowohl das Alter als auch die Größe des sichtbaren Universums vorhersagen, das heißt, berechnen. Außerdem lässt sich die Expansionsdynamik ablesen, das heißt, die Geschwindigkeit, mit der sich das Universum in den komischen Epochen ausgedehnt hat, ausdehnt und in Zukunft ausdehen wird. Mit der Expansionsdynamik und der Sichtbarkeit des Universums befassen wir uns in eigenen Abschnitten. Siehe weiter unten.
Auf die Wiederbelebung der von Einstein eingeführten und später totgesagten kosmologischen Konstante gehen wir im Zusammenhang mit der Expansionsdynamik ein, über die wir im Abschnitt "Das ungebremste Universum" sprechen. Weiter gehende Information unter anderem zum Refrenzmodell, aber auch zum sogenannten Einstein de Sitter-Modell, das häufig als Erklärungsmodell benutzt wird - die Gleichungen sind einfacher und analytisch zu lösen - und zu weiteren Aspekten des Urknallmodells finden Sie in meinem Buch
Das expandierende Universum
Eine mathematische Reise durch die Zeit.
Das Universum ist vor etwa vierzehn Milliarden Jahren aus einem extrem kleinen, heißen und dichten Anfangs-zustand hervorgegangen. Seit dem expandiert es, und das mit zunehmender Geschwindigkeit. Wir Menschen bevölkern die dünne Kruste eines im Vergleich zur Größe des Alls winzigen Planeten. Er umrundet einen von 100 Milliarden Sternen unserer Heimatgalaxie. Und diese ist eine von wahrscheinlich einigen 100 Milliarden Galaxien im Kosmos. Dennoch sind wir Erdbewohner in der Lage, die Entwicklung des Universums von seinen Anfängen bis heute zu analysieren und immer besser zu verstehen. Wir tun das auf der Basis physikalischer Gesetze und mithilfe mathematischer Modelle der Welt. Dieses Buch unternimmt eine Reise durch die kosmische Zeit. Mit den einfachen Mitteln der Schulmathematik werden unter anderem die kosmologischen Gleichungen vorgestellt, das Hubble-Gesetz und die beschleunigte Expansion erklärt und das Weltalter sowie die Größe des sichtbaren Universums berechnet.
Das Buch beschäftigt sich vorrangig mit der Expansion des Universums und in zwei kleineren Kapiteln mit den beiden anderen Grundpfeilern der Urknalltheorie, dem kosmischen Mikrowellenhintergrund und der Entstehung der ersten Atomkerne im Rahmen der sogenannten primordialen Nukleosythese. Bei der Behandlung der Themen wird auf das mathematische Formelgerüst bewusst nicht verzichtet. Die für das Verständnis notwendigen mathematischen Kenntnisse beschränken sich aber auf die Schulmathematik. Die Arbeit wendet sich damit an Leser, die sich für das Weltbild der aktuellen Kosmologie interessieren und den Einsatz der Mathematik - mathematischer Grundlagen - nicht scheuen.
Das Buch ist im Verlag Pro Business, Berlin, 2011 mit der ISBN 978-3-86805-870-3 erschienen.